Crowe/Byrne/Nordberg Kritik – Verzauberung, Engagement und Prahlerei | Alte Musik

Thier war ein Moment im Eröffnungskonzert des diesjährigen Internationales Londoner Festival für Alte Musik wenn Sopran Lucy Crowe sah zur Decke der St. Michael & All Angels Kirche auf, als würde sie beobachten, wie sich ihr letzter Ton im hohen Kirchenschiff verflüchtigte. Das Publikum war verzaubert – und kein Wunder: Crowe versteht es, einen Raum zu bearbeiten. Ihre Darbietung zweier französischer Lieder aus dem 17. Jahrhundert war gleichzeitig raffiniert und derb, ihre Ornamentik schnörkellos und doch ausdrucksstark. Ihr Ton neigte zeitweise zum Keening, sein Auf und Ab war genau auf die Raumakustik abgestimmt.

Aber die Magie war bald zerstreut. Das Lied, erklärt Liam Byrne – Viola da Gamba-Spieler der Extraklasse und, mangels Programm, unser ultra-leise sprechender MC – handelt von einem liebeskranken Hirten, der eifersüchtig ist, weil seine Freundin „auch den Hund mag“. Eine Suite des französischen Barock-Violenvirtuosen Marin Marais – in der Performance alles geschmeidige Phrasierung und gewagte Erkundung dynamischer Extreme – stammte offenbar „aus seinem dritten Buch von 17 … ich werde sagen … 11“ (ein Stichwort verzeihendes Kichern aus der Menge der Spezialisten für Alte Musik). Und es gab fröhliche Ausgrabungen bei Byrnes Duo-Partner, Lautenist Jonas Nordberg, die zwischen den einzelnen Elementen neu abstimmen mussten.

Solche Schwünge von der Verzauberung in die ausdruckslose Entmystifizierung prägten das gesamte Konzert. Ob Sie irritiert oder verzaubert sind, hängt davon ab, wie Ihnen Ihr französischer Barock serviert wird: puristisch im Konzertgewand? Oder eher wie ein intimes Akustikset einer Indie-Band? Im letzteren Modus sind Byrne und Nordberg nicht zu schlagen. Für diejenigen, die Ersteres bevorzugen, war Crowes direktere musikalische Kommunikation vielleicht eine willkommene Abwechslung.

Eine Art Kompromiss – und ein erfrischender Sprung in eine alternative Klangwelt – kam mit der Uraufführung von Errollyn Wallens Angel Waters, die knurrend aus den Tiefen von Byrnes Viola da Gamba auftauchten. Wie die vorangegangenen Tanzsatz-Suiten ist das Stück episodisch und hebt nacheinander schöne Effekte auf jedes Instrument hervor: eine Folge von Lauten-Obertönen; ein Wirbel harscher Viola da Gamba-Verbeugungen. Vor allem aber zeigte Angel Waters Byrne und Nordberg von ihrer besten Seite – gemeinsam schwelgen sie in der Anmut und Prahlerei des Stücks, seinem großzügigen Sinn für musikalischen Raum.

Erhältlich auf Marquee TV ab 6. Dezember.

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