Deutschlands Watergate: Die Kanzlerin der 1950er Jahre benutzte eine Spionageagentur, um die gegnerische Partei zu infiltrieren | Deutschland

Deutschlands erster demokratisch gewählter Bundeskanzler nutzte den Auslandsgeheimdienst des Landes, um seine größten politischen Rivalen fast ein Jahrzehnt lang systematisch auszuspionieren, wie eine Gruppe unabhängiger Historiker herausfand, die mit der Erforschung der Geschichte des ehemals westdeutschen Geheimdienstes beauftragt waren.

Der verdeckte und illegale Informationsfluss zwischen den Büros von Konrad Adenauer und dem Chef des Bundesnachrichtendienstes (BND), Reinhard Gehlen, ermöglichte es dem konservativen Politiker, seine Macht durch genaues Insiderwissen über Wahlkampfstrategien, parlamentarische Manöver und interne Machtkämpfe zu festigen die SPD, die damals die Opposition im Bundestag anführte.

Klaus-Dietmar Henke, ein Sprecher der Forschungsgruppe, die sich mit der Geschichte des Geheimdienstes befasst, verglich das Schema mit dem Watergate-Skandal in den USA, als Richard Nixon plante, Ex-CIA- und FBI-Agenten das Hauptquartier der Demokratischen Partei abhören zu lassen. Anders als Nixons verpatzter Einbruch war Adenauers Unterwanderung seiner Gegenpartei jedoch ein Erfolg – ​​und bisher den Historikern entgangen.

Der reich kommentierte Briefwechsel zwischen Bundeskanzler und Geheimdienst lagert seit Jahrzehnten im Archiv der Konrad-Adenauer-Stiftung in Sankt Augustin, seine Bedeutung wird aber erst deutlich, nachdem Henke ihn parallel zu freigegebenen Akten einsehen konnte der BND. Details aus den Berichten wurden exklusiv von der Süddeutschen Zeitung veröffentlicht und mit dem Guardian und der Washington Post geteilt.

Adenauer, ein streng katholischer Rheinländer, der zweimal von den Nazis als politischer Feind verhaftet wurde, wird im modernen Deutschland noch immer gerne als der Kanzler in Erinnerung gerufen, der sein Land an die westliche Einflusssphäre andockte und nach dem Zweiten Weltkrieg für einen wirtschaftlichen Aufschwung sorgte. Die Zentrale und die interne Denkfabrik der von ihm mitbegründeten Christlich Demokratischen Union (CDU) sind bis heute nach ihm benannt.

Die CDU-Zentrale, das Konrad-Adenauer-Haus, in Berlin. Foto: Clemens Bilan/EPA

„Konrad Adenauer war eine Schlüsselfigur des 20. Jahrhunderts und ein großer deutscher Bundeskanzler“, sagte Henke. „Aber sein kumpelhaftes Arrangement mit dem BND gegen die SPD bestätigt aufs drastischste, dass er auch ein brutal gefühlloser Machtsucher war.“

Adenauer, der 1949 knapp zum Kanzler gewählt wurde, suchte Anfang der 1950er Jahre nach Wegen, seine Rolle an der Spitze einer frisch geschmiedeten westdeutschen Republik zu festigen, die sich an der Front eines neuen Ost-West-Konflikts befand.

Der ehemalige Kölner Oberbürgermeister fürchtete nicht nur Feinde jenseits des Eisernen Vorhangs, sondern auch in den Reihen der Mitte-Links-Sozialdemokraten. EIN CDU-Wahlplakat 1953 warnte davor, dass „alle Wege des Marxismus nach Moskau führen“, obwohl sich die SPD damals als nationalistische und patriotische Gruppierung positioniert hatte.

Im Dezember 1953 bot sich für Adenauer die Gelegenheit, seine größten politischen Konkurrenten zu überwachen und damit in Schach zu halten. Reinhard Gehlen, Chef eines als deutscher Zweig der CIA eingerichteten Geheimdienstes, hatte den damaligen SPD-Geschäftsführer Siegfried Ortloff als Informanten gewonnen.

Zwischen 1953 und 1962 gab Ortloff fast 500 vertrauliche Notizen mündlich weiter, die bei Gehlens Geheimdienst abgetippt und dann Adenauers Stabschef übergeben wurden, von wo sie den Weg zum Schreibtisch des Kanzlers fanden.

Die Memos verschafften Adenauer einen großen taktischen Vorteil, indem sie vor öffentlichen Bekanntgaben skizzierten, welche Politiker die SPD als Kanzlerkandidaten für Bundestagswahlen oder für die hauptsächlich zeremonielle Rolle des Bundespräsidenten aufstellen wollte.

Sie ermöglichten es Adenauer, sich auf geplante Anträge der Opposition oder auf Angriffslinien, die gegen sein Team vorbereitet wurden, vorzubereiten, beispielsweise auf die Rolle seines Stabschefs Hans Globke bei der Ausarbeitung des Nürnberger Rennens der Nazis Rechtsvorschriften.

Sie informierten die Kanzlerin live über die jüngsten internen Debatten der Mitte-Links-Partei und die damit verbundenen Verwundbarkeiten, sei es über die deutsche Wiederaufrüstung oder über die formelle Abkehr vom orthodoxen Marxismus im Jahr 1959.

In mehreren Fällen forderte Adenauers Büro von deutschen Spionen konkrete Informationen über politische Rivalen. Ein Jahr vor den nationalen Wahlen von 1961 wurde der Geheimdienst damit beauftragt, Informationen über seinen Herausforderer Willy Brandt auszugraben, etwa die Identität seiner ersten Frau und ob er an der „Liquidierung“ einer abtrünnigen Fraktion von Trotzkisten beteiligt war während des spanischen Bürgerkriegs, über die Brandt im Exil vor den Nazis als Journalist berichtet hatte.

John F. Kennedy (links), Willy Brandt (Mitte) und Konrad Adenauer (rechts) beim Besuch des US-Präsidenten in Berlin 1963
John F. Kennedy (links), Willy Brandt (Mitte) und Konrad Adenauer (rechts) beim Besuch des US-Präsidenten in Berlin 1963. Foto: AP

Nicht nur für Adenauer, der 14 Jahre an der Macht blieb, bevor er im Alter von 87 Jahren zurücktrat, sondern auch für Gehlen, dessen aufkeimende Beziehung zum deutschen Regierungschef ihn in eine Krise brachte, erwies sich die verdeckte Absprache mit dem Geheimdienst als Karriereschub 1956 die erste Position, den neu gegründeten Auslandsgeheimdienst BND zu führen.

„Gehlen hat wie Adenauer die Sozialdemokratie nicht als politischen Konkurrenten, sondern als Feind gesehen“, sagte Henke, dessen Buch über die illegalen Machenschaften des BND im Mai in Deutschland erscheinen wird. „Was die beiden fast 10 Jahre lang praktizierten, war ein Kreuzzug gegen einen Gegner, den sie mit allen Mitteln für gerechtfertigt hielten.“

Die Motivation des Maulwurfs im Hauptquartier der Sozialdemokraten ist weniger klar. Eine Recherche der Süddeutschen Zeitung deutet darauf hin, dass Ortloff von einer persönlichen Rivalität und einem politischen Misstrauen gegenüber dem ehemaligen Kommunisten Herbert Wehner getrieben sein könnte, einer damals dominierenden Figur in der SPD.

Überlebende Familienmitglieder sagten, sie könnten nicht glauben, dass Ortloff die politische Bewegung, die er in seiner Jugend unterstützt hatte, wissentlich verraten hätte. Dass Ortloff vertrauliche Informationen in voller Kenntnis ihres Nutzens weitergab, steht jedoch außer Zweifel: 1962, im Jahr, in dem Gehlen beschloss, seine geheime Zusammenarbeit einzustellen, schickte ihm seine verlässliche Quelle einen Geburtstagsbrief, in dem er sich „für mein Engagement als Vertrauter“ bedankte Mitarbeiter”.

Ortloffs Handlanger beim BND, ein Mann namens Siegfried Ziegler, versuchte fünf Jahre nach dem Ende der Abhöraktion aufzudecken. Zwischen 1967 und 1969 sandte er eine Reihe von Briefen an die SPD-Führung, in denen er anbot, alles über das offenzulegen, was er als „reaktionäre Mächte“ bezeichnete, die versuchten, die Gesetze des Landes zu umgehen.

Der damalige Fraktionsvorsitzende der SPD und spätere Bundeskanzler Helmut Schmidt antwortete mit einem höflichen, aber kurzen Brief – und ließ den Schleier, der über die Saga gezogen worden war, ruhen.

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