Patrick Odier zum Image der Banken

Niemand applaudiert, wenn sie die Klimawende finanzieren, niemand regt sich auf, wenn sie Millionen versenken: Sind die Banken den Schweizern gleichgültig? Patrick Odier, geschäftsführender Teilhaber der Privatbank Lombard Odier, erklärt, warum sein Berufsstand mit einem Imageproblem kämpft – und warum er trotzdem noch nie so attraktiv war.

Würde heute am liebsten noch einmal als junger Banker im Geschäft sein: Patrick Odier, Senior Managing Partner der Privatbanken-Gruppe Lombard Odier.

Karin Hofer / NZZ

Herr Odier, wir stehen kurz vor dem Raiffeisen-Prozess und nach dem erzwungenen Rücktritt des CS-Verwaltungsratspräsidenten. Was lösen solche Ereignisse bei Ihnen aus?

Es ist unglücklich, dass es solche Fälle gibt. Doch sie sind sicher nicht repräsentativ. Letztlich hat es mit Werten und mit Governance zu tun, nicht mit dem Bankensektor an sich – oder mit der Philosophie der Geschäftsleitungen.

Es fällt in der öffentlichen Wahrnehmung ja doch auf alle Banken zurück: «Diese Banken schon wieder.» Ärgert Sie das?

Natürlich. Aber es gilt für Geschäftsleitungsmitglieder in allen Branchen, nicht nur bei den Banken: Man muss ein Vorbild sein und bleiben, in allen Umständen. Von Zeit zu Zeit kommt es vor, dass der Common Sense verschwindet – was zu grosser Gefahr führt. Aber nochmals: Es sind Ausnahmen, sie stellen nicht die Regel dar, was die Qualität der Geschäftsleitungen in der Schweiz anbelangt.

Doch die Pharma- oder die Versicherungsbranche sind mindestens so wichtig in der Schweiz und produzieren weniger Skandale. Warum stehen immer die Banken im Fokus?

Es wird immer, in allen Industrien, schlechte Beispiele geben. Ich glaube nicht, dass es mit dem Bankensektor zu tun hat. Dieser hat sich in den letzten zwei Krisen an die neuen und schärferen Regulierungen angepasst. Per definitionem interessiert man sich aber stärker für die negativen als für die positiven Beispiele: etwa dafür, was die Banken alles getan haben, um nachhaltiger zu werden. Das wird sich sehr positiv auf die Reputation des Sektors auswirken. Es ist eine Rückkehr zum Kerngeschäft: Erspartes zu schützen und Kredite zu vergeben, damit sich die Wirtschaft entwickeln kann.

2020 schlug den Banken eine Welle der Sympathie und Dankbarkeit entgegen: weil sie, zusammen mit dem Finanzdepartement und der Nationalbank, die Covid-19-Kredite so schnell auf die Beine stellten.

Die Banken haben sich rasch organisiert, um sich auch in dieser Krisenzeit nützlich zu machen. Die Beziehung zu unseren Bundesbehörden war gut. Nun müssen die Banken die Veränderung der Geschäftsmodelle angesichts des Klimawandels finanzieren und begleiten. Die Banken sind auch sehr interessiert daran: Neue Geschäftsfelder eröffnen sich, die Banken organisieren das Kapital dafür. Das Potenzial, erneut eine positive Rolle zu spielen, ist heute grösser als je zuvor.

Kommt das wirklich an? Erhalten Sie positives Echo wegen der Rolle der Banken im Kampf gegen den Klimawandel?

Ja. Sie haben sicher COP26 in Glasgow verfolgt – und was wir in der Schweiz mit unserer einzigartigen Konferenz «Building Bridges» gemacht haben. Die Selbstverpflichtungen der einzelnen Banken wie des ganzen Sektors können enorme Auswirkungen haben. Für Akteure im Finanzsektor wird es immer schwieriger, sich nicht in diese Richtung zu bewegen. Die Banken handeln aus einer treuhänderischen Verantwortung heraus; um ein gutes Gewissen allein kann es nicht gehen. Die besten Investitionsmöglichkeiten, aber auch die grössten Risiken präsentieren sich im Bereich Nachhaltigkeit und Transition.

Es braucht die Rahmenbedingungen der Politik, damit Ölheizungen ersetzt, der Flug- oder der Autoverkehr effizienter werden. Wird die Rolle der Finanzbranche im Kampf gegen den Klimawandel nicht überschätzt?

Nein, ich denke nicht. Es braucht 150 Billionen Franken an Investitionen, um das Netto-Null-Ziel zu erreichen. Die Finanzierung der öffentlichen Hand reicht hierfür bei weitem nicht. Deshalb sind die Banken sehr wichtig – als Vermittler des Kapitals. Sie überzeugen die Kapitaleigner, dass es in diesem Bereich die besten Chancen gibt.

Gibt es einen Schlüsselmoment, der bei Ihnen persönlich ein Umdenken und ein Interesse an Nachhaltigkeitsfragen ausgelöst hat?

1997 fragten wir uns, ob unsere Analytiker mehr als bloss quantitative Daten über diejenigen Unternehmen erheben sollten, die wir den Kunden empfehlen wollten. Und merkten, dass sich die institutionellen Investoren dieselben Fragen stellten. In der Folge haben wir uns entschieden, alle unsere Investitionsentscheidungen durch sowohl quantitative als auch qualitative Schlussfolgerungen wie Werte und Impact zu unterlegen.

Abgesehen von der Nachhaltigkeit: Machen die Schweizer Bankspitzen genug, um sich als Citoyen auch politisch einzubringen – etwa was unser Verhältnis zu Europa anbelangt? Es fehlen die prononcierten Stimmen aus der Wirtschaft.

Natürlich müsste man viel mehr tun – und es irritiert mich, dass es nicht gemacht wird. Doch es ist überall dasselbe: Es braucht jemanden, der anfängt. Es fehlt an Mut.

Man schiebt sich die Verantwortung gegenseitig zu.

Die Verhandlungen zwischen der EU-Kommission und unserem Bundesrat begannen 2014. Sieben Jahre später traf die Schweiz die schwerwiegende Entscheidung, den Prozess abzubrechen. Keine Lösung, keinen Plan B: Das ist inakzeptabel. Wir brauchen unbedingt neue Pläne, um unsere Beziehung zu Europa zu sichern. Wer trägt diese Verantwortung? Erstens der Bundesrat, zweitens das Parlament, und am wichtigsten ist die Bevölkerung, was auch die Wirtschaft beinhaltet.

Es entsteht auch kein Druck, weil keine Identifikationsfiguren aus der Wirtschaft hinstehen und sagen: Das ist wichtig. Vor 30 Jahren trat Robert Studer, der Chef der Bankgesellschaft, gegen Christoph Blocher an. Jetzt haben wir Rolf Dörig, der signalisiert: So wichtig ist das auch nicht.

Ich bin nicht so stimmgewaltig wie die Leute, die Sie erwähnt haben, aber ich sage umso überzeugter: Es ist essenziell, dass wir diese Debatte noch vor der nächsten Wahl führen. Gemäss Bundesrat Ignazio Cassis ist Europa eine der vier Prioritäten des Bundesrats. Ich erwarte etwas. Wir hätten schon in Davos einen Kontakt auf politischer Ebene haben sollen – was jetzt passiert, weiss ich nicht. Ein Teil der Bevölkerung ist sehr unzufrieden mit der jetzigen Situation. Nicht, dass sich das kurzfristig stark negativ auswirken wird. Dieses Argument höre ich jeden Tag; doch langfristig hat diese Nichtentscheidung dramatische Konsequenzen. Diese Mutlosigkeit – zu sagen, es gebe keine mehrheitsfähige Lösung im Moment – ist unverständlich.

Würden Sie es auch lauter und sichtbar machen, wie Herr Studer vor 30 Jahren? Ich, Patrick Odier, stehe hin.

Ja. Aber wer bin ich denn, das zu sagen? Ich spreche mich als überzeugter Bürger dafür aus, dass wir eine gute Lösung mit Europa brauchen. Wir können es uns nicht erlauben, wegen der nächsten Wahlen nochmals zwei Jahre zu warten.

Sie sind nicht niemand, Sie sind Patrick Odier.

Aber ich bin kein Politiker, kein Bundesrat. Ich rufe die Verantwortungsträger auf, diese Verantwortung zu übernehmen. Ich sehe aber nichts davon.

Fühlen Sie sich manchmal allein mit dieser Position? Wenn die Wirtschaft vereint hinstünde, mit den Verbänden und starken Figuren, gäbe es mehr Echo. Der Druck würde steigen.

Deshalb sage ich es laut und klar. Ich weiss, die Hürde ist in der Deutschschweiz wohl grösser, es gibt mehr negative Stimmen zu den Lösungen, die verhandelt wurden, als in der Westschweiz oder im Tessin. Vielleicht waren diese nicht die richtigen, okay – aber dann sagen Sie mir, wo wir diese finden. Sagen Sie mir nicht, dass wir noch zwei Jahre warten sollen, dass wir ein Handelsabkommen haben, welches genügt. Dem ist nicht so. Wir sind von Europa abhängig, und dasselbe gilt umgekehrt. Denken Sie zum Beispiel an unseren ausserordentlichen Forschungsstandort. Es gibt nun Stimmen aus Deutschland, die dazu auffordern, mehr zu tun, als bloss zu warten.

Der deutsche Industrieverband erhebt am lautesten die Stimme – nicht Economiesuisse oder Swissmem.

Es ist merkwürdig, dass wir dies von aussen hören müssen – aber es ist sehr nützlich. Nochmals: Wenn es uns heute noch gutgeht, basiert dies auf den guten Entscheiden von früher. In der Europapolitik ist in den letzten sieben Jahren aber nichts passiert.

Weder Politik noch Öffentlichkeit haben letztes Jahr gross auf die Milliardenverluste bei der Credit Suisse reagiert. Ist das ein Hinweis darauf, dass sich die Banken von der Bevölkerung entfremdet haben?

Nein. Erstens haben gerade in der Pandemie viele kleine und mittlere Unternehmen erlebt, dass die Banken etwas Positives bewirken können. Hinter diesen KMU stehen Personen – und damit auch die Bevölkerung. Zweitens hat sich unsere Schweizer Wirtschaft in der Finanzkrise und in der Pandemie ziemlich gut entwickelt. Das ist auf die gute Arbeitsbeziehung zwischen Finanzplatz und Realwirtschaft zurückzuführen. Jeder versteht, dass es dank der Balance zwischen Finanzierung und Produktion so viele Jobs im Land gibt.

Sie sehen also keine Distanz?

In einem Punkt bin ich einverstanden: Es wird zunehmend schwierig, zu erklären, was Banken genau tun. Das ist auch auf die zunehmende Technisierung der Finanzwelt zurückzuführen. Und dann gibt es halt auch die Fehlschläge, die Sie erwähnen. Diese gibt es auch in anderen Branchen, aber bei den Banken geht es sofort um viel Geld. Geld ist ein sehr empfindliches Thema. Besonders, wenn sich das Topmanagement gut entlöhnt und sich gleichzeitig nicht vorbildlich verhält. Aber das sind Ausnahmen.

Man kann es auch so sehen: Die Leute haben sich daran gewöhnt, dass die Banken regelmässig Finanzdebakel anrichten oder Hunderte von Millionen an Bussen bezahlen. Es regt sie nicht mehr auf.

Sie haben recht, es passieren immer noch zu viele Debakel, Jahr für Jahr. Aber man muss schon sehen, dass die Banken heute Regelwerke und Systeme haben, die Gewähr bieten für solide Arbeit.

Im Bericht der Credit Suisse zum Fall des Hedge-Fund Archegos liest man, dass Warnungen von Kollegen oder von Systemen bewusst ignoriert worden seien. Zieht die Aussicht auf viel Geld Menschen an, die im Kern keine «good bankers» sind?

Als ehemaliger Präsident der Bankiervereinigung kann ich Ihnen versichern: Die Banken tun alles und investieren viel Geld, damit solche Fälle Ausnahmen bleiben. Die Situation ist ganz anders als früher. Das macht es von Zeit zu Zeit schwierig, in neue Märkte vorzudringen, etwa weil die Bedingungen in Sachen Kundendokumentation hart sind. Ist das schlecht? Nein, es ist sogar gut. Es vermeidet, dass man die Dinge zu rasch und zu oberflächlich tut und dann die falschen Risiken nimmt.

Ist es nicht einfach so, dass die Aussicht auf viel Geld vor allem schlechte Banker anspricht?

Das glaube ich nicht. Es kommt vielmehr auf das Geschäftsmodell an. Wir bei Lombard Odier zum Beispiel sind Eigentümer und Unternehmer. Wir müssen investieren, um profitabel zu sein. Und damit wir das konstant sind, müssen wir schlechte Risiken vermeiden. Das ist Teil unserer Verantwortung. Wenn wir das alles tun, liegt der Schluss nahe, dass die Entlöhnung etwas höher sein müsste als in anderen Branchen. Auch bei der Verteilung des Firmengewinns müssen wir uns vorbildlich verhalten, im Sinne davon, Verhaltensrisiken zu managen. Alles gehört zusammen.

Die hohen Löhne sind also kein Problem?

Wenn ein Banker als erfolgreicher Unternehmer gut verdient, ist das in Ordnung. Vorausgesetzt, das Geschäft wird zugunsten der Kundschaft betrieben, ist frei von Interessenkonflikten und wird mit Werten wie Integrität, Qualität und Exzellenz betrieben. Wie gesagt: Es ist wichtig, dass unsere Bank profitabel ist, auch damit wir die Investitionen zugunsten der Kundschaft tätigen können. Etwa Investitionen in den Aufbau einer nutzerfreundlichen Bankentechnologie oder in der Anlage-Expertise im Bereich Nachhaltigkeit.

Sie sind Eigentümer und Unternehmer, die meisten Ihrer Mitarbeiter aber nicht. Wie bringen Sie es hin, dass diese in Ihrem Interesse handeln?

Erstens müssen wir die Werte zuoberst im Unternehmen vertreten. Ich darf nicht nur von Kundenorientierung sprechen, sondern muss diese auch vorleben. Darum treffe ich jeden Tag Kunden, wie alle anderen geschäftsführenden Partner auch. Wir wissen, was die Kunden wollen und was es heisst, sie zu bedienen. Zweitens Integrität und Transparenz: Wir sagen, was wir machen, und wir machen, was wir sagen. Drittens müssen wir als Firma für unsere Mitarbeiter spannend und interessant sein. Sie müssen sich als Teil eines Projekts fühlen. Mit unserer Nachhaltigkeitsphilosophie haben wir genau das gemacht.

Sie haben Lombard Odier damit einen Purpose gegeben, wie man auf Neudeutsch sagt.

Ja. Wir haben noch nie so viele gute und interessante Talente angezogen wie jetzt. Wir haben 25 Forscher in der Bank, die rein wissenschaftlich arbeiten. Die denken nur darüber nach, was Nachhaltigkeit für einzelne Branchen bedeutet. Welche Schlüsse kann man als Bank daraus ziehen und professionell umsetzen? Lombard Odier ist von B Lab als nachhaltig handelnde Firma zertifiziert worden. Auch hier gilt: Wir machen, was wir sagen. Das ist eine phantastische Motivationsquelle für unsere Mitarbeiter.

Sie haben vor bald 45 Jahren im Bankgeschäft begonnen. Ist die Welt des Banking heute besser oder schlechter als damals?

Ich bedaure sehr, dass ich kein junger Bankier mehr bin. Während meiner Karriere gab es nie so viele interessante Gelegenheiten wie heute. Die Möglichkeiten, welche die neuen Technologien uns eröffnen, sind ausserordentlich. Diese Transformation in der Bankenwelt mitgestalten zu können, daraus Werte für die Wirtschaft und für die Gesellschaft zu schaffen! Als Banker denken wir heute über Nachhaltigkeit nach, über Klimawandel, Biodiversität, soziale Inklusion, Kreislaufwirtschaft. Früher war unsere Tätigkeit im Wesentlichen rein finanzorientiert. Hochschulabsolventen gingen zur Bank, weil die Bezahlung gut war. Heute kommen sie zu uns, weil die Arbeit interessant ist und einen wesentlichen Impact hat.

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