Rohstoffe als Waffen: Die neusten Entwicklungen


Die neusten Entwicklungen

Russland macht mit der Drohung Ernst und stoppt die Gaslieferungen nach Polen und Bulgarien. Die EU bereitet einen Boykott russischen Öls vor. Wie geht es weiter im Streit um russische Energielieferungen? Die wichtigsten Antworten.

Russland dreht Polen und Bulgarien den Gashahn zu.

Andrey Rudakov / Bloomberg

Die neusten Entwicklungen:

  • Die Slowakei fordert bei einem möglichen EU-Embargo gegen russisches Öl im angekündigten Sanktionspaket eine Ausnahmeregelung. Wie das Wirtschaftsministerium am Dienstag (3. 5.) erklärte, ist die Verarbeitung verschiedener Ölsorten nicht sofort möglich. Eine Umstellung sei finanziell schwierig und technisch aufwendig. Daher verlange man eine Übergangsfrist. Die Slowakei bezieht fast ihr gesamtes importiertes Rohöl aus Russland. Es verfügt nach eigenen Angaben über Reserven für 120 Tage.
  • Ungarn will keinem Sanktionspaket zustimmen, das Lieferungen von russischem Gas und Öl an Ungarn verunmöglicht. Dies sagte Aussenminister Peter Szijjarto am Dienstag (3. 5.). Die EU sucht nach flexiblen Lösungen für Länder, denen ein Verzicht auf russisches Öl schwer fällt.
  • Der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) rechnet damit, dass der Vorschlag für das nächste Sanktionspaket der EU in Kürze kommen wird. Er gehe davon aus, dass die Kommission in wenigen Tagen ein sechstes Sanktionspaket vorschlagen werde, «inklusive dem Ausstieg vom russischem Öl», sagte Habeck am Montag (2. 5.) zu Journalisten nach einem Treffen der für Energie zuständigen EU-Minister in Brüssel. «Wie hart die Embargo-Bedingungen definiert werden, da wird sicherlich noch ein bisschen beraten werden.» Aber er gehe sicher davon aus, dass Öl auf die Liste komme, sagte er. Zum Bericht | Zum Kommentar
  • Die EU-Kommission erarbeitet genauere Leitlinien, wie EU-Länder weiterhin für russische Gas-Lieferungen zahlen können, ohne die Sanktionen gegen Russland zu verletzen. «Viele europäische Energieunternehmen müssen Mitte Mai die nächste Zahlung an Gazprom tätigen und versuchen, besser zu verstehen, was sie tun sollen», sagte EU-Energiekommissarin Kadri Simson nach einem Sondertreffen der zuständigen EU-Minister am Montag (2. 5.). Simson hielt fest: «Die EU-Länder und die Unternehmen sollten keine Illusionen haben, dass sie sich auf den guten Willen von Gazprom und den russischen Behörden in diesem Bereich verlassen können.»
  • Innerhalb der Europäischen Union gibt es nach Darstellung des deutschen Wirtschaftsministers Robert Habeck noch keine Einigung über ein Ölembargo gegen Russland. Deutschland könne ein Embargo tragen, sagte der Grünen-Politiker am Montag (2. 5.) in Berlin nach einem Treffen mit Verbänden der mittelständischen Wirtschaft. «Andere Länder sind noch nicht so weit.»
  • Ungeachtet der Einstellung direkter Lieferungen kauft Polen nach Angaben des Energieriesen Gazprom weiter russisches Gas – einfach über Deutschland. «Es wurde feierlich verkündet, dass russisches Gas nicht mehr gebraucht wird und man es nicht kaufen wird. Aber in Wirklichkeit ist das nicht so», sagte der Gazprom-Sprecher Sergei Kuprijanow am Donnerstag (28. 4.) gemäss der russischen Agentur Interfax. Über die Jamal-Europa-Pipeline fliessen laut Kuprijanow täglich rund 30 Millionen Kubikmeter Gas aus Deutschland zurück nach Polen.

Für den ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski ist klar: «Ein Ölembargo gegen Russland ist zwingend.» Nur ein Sanktionspaket, das Erdöl einschliesst, könne Moskau wirklich treffen, sagt er seit Wochen.

Was ist das Ziel des Embargos?

Mit einem Embargo soll das russische Regime zum Einlenken im Ukrainekrieg gebracht werden. Öl ist die wichtigste Devisenquelle Russlands, rund 60 Prozent der Exporte werden nach Europa gepumpt.

Die USA, Kanada und Australien beziehen seit Wochen kein Erdöl aus Russland mehr. Die EU hat – anders als im Fall von Kohle – beim Öl-Boykott stark gezögert. Zu gross war die Furcht vor den wirtschaftlichen Schäden. Nun kommt der Schritt voraussichtlich doch schneller als erwartet. Vor allem Deutschland hat sich in dieser Frage stark bewegt und in wenigen Wochen die Voraussetzungen geschaffen, um das Embargo mittragen zu können. Grösstes Hindernis sind die Versorgungsprobleme jener Länder, die derzeit fast alles Öl aus Russland beziehen.

Was sind die Folgen für Europa?

Das Ölembargo wird auch Europa selber treffen. «Wir werden uns selber schaden», sagt der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck. Um der Ukraine beizustehen, wolle man aber diese Lasten gemeinsam tragen. Der Boykott dürfte Energie weiter verteuern, die Inflation weiter antreiben und die Lasten für die Wirtschaft erhöhen.

Marktexperten rechnen damit, dass der Ölpreis von derzeit rund 100 Dollar pro Fass bis zum Jahresende auf gegen 140 Dollar klettern könnte. Benzin und Diesel, aber auch Heizöl und Kerosin dürften deutlich teurer werden. Mancherorts könnte es auch zu Versorgungsproblemen kommen. Um die Folgen zu lindern, dürften die Staaten finanzielle Hilfepakete aufgleisen.

Das Brüsseler Wirtschaftsforschungs-Institut Bruegel hält einen kompletten Ausstieg für möglich. Wichtigste Massnahme dabei sei aber eine Verringerung des Verbrauchs. Energiesparen könne helfen, die Preise zu senken und die Märkte zu beruhigen. Das grösste Sparpotenzial sieht der Think Tank im Verkehrsbereich: Konkret denkt er an freie Fahrt im öffentlichen Nahverkehr am Wochenende, an Fahrverbote an einzelnen Tagen wie zu Zeiten der Ölkrise in den 1970er Jahren oder an Tempolimiten.

Welche Länder sind besonders betroffen?

Wenn Russland kein Erdöl mehr nach Europa liefern darf, trifft dies die Länder unterschiedlich. Heftig zu spüren bekommen dies vor allem Ungarn, die Slowakei, Bulgarien und Finnland. Sie beziehen zwischen 75 und 100 Prozent ihres Erdöls aus Russland. Diese Länder pochen auf eine längere Übergangsfristen, um Alternativen zu finden. Neben solchen Übergangsfristen wird in der EU auch über Ersatzlieferungen, gemeinsame Einkäufe und Ausbauten von Pipelines diskutiert.

Das andere Extrem: Als erstes EU-Land hat Litauen Anfang April verkündet, die Erdgasimporte aus Russland vollkommen und dauerhaft zu unterbinden. Die beiden anderen baltischen Staaten, Estland und Lettland, sind zwar bis vor kurzem äusserst abhängig von russischen Lieferungen gewesen, seit April haben sie aber kein Erdgas aus Russland importiert. Die beiden Länder arbeiten zusammen mit Finnland unter Hochdruck daran, die Energieversorgung neu aufzustellen.

Als mögliche Bremser galten auch Italien, Spanien und Griechenland. Sie würden statt eines harten Embargos eher Preisobergrenzen vorziehen. Über diesen Mechanismus würde die EU ihre Marktmacht nutzen, um den Russen niedrigere Preise zu diktieren und so deren Einnahmen zu begrenzen.

Deutschland hat seine Abhängigkeit von russischem Öl in einem Rekordtempo von 35 auf 12 Prozent gesenkt hat und ist damit bereit für einen Stopp. Ein Problem ist noch die PCK-Raffinerie im brandenburgischen Schwedt. Sie spielt eine Schlüsselrolle bei der Versorgung Ostdeutschlands und Berlins mit Benzin, Diesel, Heizöl und Kerosin. Da der russische Staatskonzern Rosneft die Raffinerie betreibt, wird sie noch vollständig aus Russland versorgt. Um das zu umgehen, sieht Deutschland vor, der Raffinerie das Öl künftig über die Häfen in Danzig und Rostock und von da via Pipelines zu liefern.

Die Frage ist, von wem der Boykott kommt. Bisher haben die USA einen vollständigen Einfuhrstopp für russisches Öl, Gas und Kohle verhängt. Grossbritannien will Ende des Jahres vollständig von russischem Erdöl unabhängig sein. Diese Ankündigungen klingen mutig, doch sind weder die Vereinigten Staaten noch das Vereinigte Königreich grosse Abnehmer von russischem Erdöl.

Wer kauft russisches Erdöl?

Laut der IEA gehen etwa 60 Prozent der russischen Erdölexporte nach Europa und weitere 20 Prozent nach China. Peking hat bisher keine Anstalten gemacht, seine Erdölexporte aus Russland einzuschränken. Die grosse Frage ist also, wie sich ein Embargo der Europäer auswirken würde.

Es wird gepumpt, was das Zeug hält

Erdölproduktion in Millionen Fass pro Tag

Was steht für Russland auf dem Spiel?

Für den russischen Staat steht seine wichtigste Einnahmequelle auf dem Spiel. Im vergangenen Jahr kam etwas mehr als ein Drittel des Haushalts aus den Erdöl- und Erdgas Einnahmen. Erdgas ist dabei der kleinere Devisenbringer und macht knapp einen Viertel aus. Der grosse Geldtopf des Kremls sind die Erdölkonzerne. Fallen diese Einnahmen weg, dann muss Moskau den Gürtel enger schnallen.

Welche Waren Russland im Jahr 2021 am meisten exportiert hat

In Milliarden Dollar

Russland verzeichnete im vergangenen Jahr aufgrund der hohen Energiepreise einen hohen Leistungsbilanzüberschuss von 120,3 Milliarden Dollar, was 7 Prozent des Bruttoinlandprodukts entspricht. Andererseits unternahm Moskau in den vergangenen Jahren grosse Anstrengungen, um den Staat unabhängig von den Petro-Dollars zu machen. So machten die Energieeinnahmen vor 10 Jahren noch mehr als die Hälfte des Staatsbudgets aus.

Das russische Budget braucht weniger Energieeinnahmen

In Milliarden Rubel

Dennoch steht für Wladimir Putin viel auf dem Spiel: Die Euro und Dollar aus den Energieverkäufen haben bisher stark dazu beigetragen, die Wucht der Sanktionen abzufedern. Dass die Exporteinnahmen sofort in Rubel gewechselt werden mussten, hat den Fall der russischen Währung verhindert. Zudem konnte er damit seinen Militärapparat finanzieren. Fällt dieses Geld weg, wird die russische Wirtschaft wohl noch weiter destabilisiert.

Wie viel russisches Erdöl gibt es in Europa?

Die Abhängigkeit Europas von Russland ist nicht so hoch wie die russische Abhängigkeit von Europa. So entfallen «bloss» 27 Prozent der Erdölimporte der Europäer auf die Russische Föderation. Dennoch sind die Russen die weitaus grössten Erdöllieferanten. Auf weiteren Plätzen folgen mit grossem Abstand der Irak, Nigeria, Saudiarabien, Kasachstan und Norwegen (vgl. Grafik.)

Die Spur des Erdöls

Woher die europäischen Importe stammen, in Prozent

Kann russisches Erdöl umgeleitet werden?

Ja. Aber nicht so schnell und nicht so einfach. Bis anhin ist vor allem Indien als Käufer in die Bresche gesprungen und auch der chinesische Energiehunger ist gross. Ob sich aber diese beiden Länder getrauen, sanktioniertes Erdöl zu kaufen, ist alles andere als sicher. Das hängt auch davon ab, wie allfällige weitere Sanktionen ausgestattet sind.
Zudem wird wohl auch die russische Produktion sinken, da die Erdölförderer auf ausländische Partner und Ersatzteile angewiesen sind. Vor allem die technische schwierige Förderung in den Polarregionen und auf Sachalin könnten ins Stocken geraten.

Zudem verkauften die russischen Firmen bisher ihr Erdöl über Handelsfirmen wie Vitol, Trafigura oder Glencore. Doch diese Handelsfirmen werden von der Politik in die Zange genommen. Die EU will, dass diese Firmen ihre Geschäfte mit dem Rosneft und anderen russischen Unternehmen auf «wesentliche» Aktivitäten beschränken, die für die Versorgung der EU erforderlich sind. Was unter «wesentlich» zu verstehen ist, lässt Raum für Interpretationen. Daher stehen die Firmen auf die Bremse und reduzieren einfach ihre Geschäfte.

Was passiert mit dem Erdölpreis?

Teure, neue Erdölwelt

Preis für ein Fass der Nordseesorte Brent, in Dollar

Die ersten Kriegstage haben für einen Preisschock gesorgt. In den ersten Tagen des Krieges stieg die Notiz der Sorte Brent auf fast 140 Dollar. Doch der Lockdown in Schanghai sorgte nach dem Angebotsschock für einen Nachfrageschock aus China. Zudem gaben die USA und ihre Verbündeten Millionen von Fass aus ihren strategischen Erdölreserven frei. Das sorgte für eine zwischenzeitliche Entspannung. Dennoch wird man sich wohl längerfristig an einen höheren Erdölpreis gewöhnen müssen. Ausser es gibt wider Erwarten einen schnellen Frieden und die Wiedereingliederung Russlands in die internationalen Energiemärkte oder in den USA und Europa folgt eine Rezession, die die Nachfrage stark senken würde.

Mit dem Lieferstopp gegenüber Polen und Bulgarien statuiert Moskau ein Exempel beim Thema Rubel-Zahlungen und sendet ein Warnsignal an andere Gasimportländer im Westen.

Welche Länder sind betroffen?

Polen und Bulgarien erhalten kein russisches Erdgas mehr. Der russische Staatskonzern Gazprom hat nach eigenen Angaben seine Lieferungen in die beiden Länder am 27. April eingestellt. Er begründet die Massnahme damit, dass die zuständigen Unternehmen, die polnische PGNIG (Polskie Górnictwo Naftowe i Gazownictwo) und Bulgargaz in Bulgarien, die Gaslieferungen nicht wie gefordert in Rubel bezahlen. Die Unternehmen lehnen es auch ab, für die Zahlungen ein von Gazprom vorgeschlagenes Verfahren zu nutzen.

Gazprom verbietet Bulgarien und Polen ausdrücklich auch, russisches Gas aus Transit-Pipelines anzuzapfen, in denen Gas in Drittländer geliefert werde. Im Falle von unbefugten Entnahmen würden die Transitmengen entsprechend verringert.

Gaspipelines von Russland und Aserbaidschan nach Europa

Gaspipelines von Russland und Aserbaidschan nach Europa

Russland liefert Gas meist auf Basis von langfristigen Verträgen zwischen dem Energiekonzern Gazprom und europäischen Energieunternehmen nach Europa. Polen und Bulgarien wurden möglicherweise als erste Länder mit Sanktionen belegt, weil hier die Vertragsbindung ohnehin nicht mehr stabil ist. Polen und Bulgarien hatten schon zuvor angekündigt, die Lieferverträge bis Ende Jahr auslaufen zu lassen.

Bei Polen ist der entscheidende Grund für die Strafmassnahme wohl, dass das Land besonders scharf auf Russlands Krieg in der Ukraine reagiert hat und derzeit zahlreiche Waffenlieferungen über sein Territorium laufen. Ausserdem hat das Land von sich aus die Sanktionen der EU noch verschärft. Auch Gazprom steht auf der Warschauer Sanktionsliste.

Russland dürfte Polen auch ins Visier nehmen, weil das Land wesentlich daran beteiligt ist, dass Deutschland rasch aus russischem Erdöl aussteigen kann. Warschau hat zugesagt, die vom russischen Staatskonzern Rosneft kontrollierte Erdölraffinerie im deutschen Schwedt an der Oder vom Hafen Danzig aus zu beliefern.

Was sind die Folgen für Polen?

«Der Hahn wurde zugedreht», sagte Polens Klimaministerin Anna Moskwa lapidar. Durch die Jamal-Pipeline fliesse kein russisches Gas mehr. Der polnische Erdgaskonzern PGNIG sieht in der Entscheidung einen Bruch bestehender Verträge. Man wolle Schadenersatz wegen Vertragsbruch fordern, kündigte er an.

Die polnische Ministerin versicherte, dass es in Wohnungen keinen Gasmangel geben werde. Man sei gewappnet, da Polen in der Vergangenheit schon mehrmals russische Lieferstopps erlebt habe. Ab Mai 2022 soll das Land Gas aus Litauen erhalten, ab Herbst aus Norwegen. Polen hat bereits mit der Errichtung eines Flüssigerdgas-Terminals an der Ostsee vorgesorgt, um die Gasversorgung zu sichern.

Die Folgen des Embargos werden auch dadurch gemildert, dass Polen genügend Gas gespeichert hat. Nach Angaben des Regierungschefs Mateusz Morawiecki sind die Gasspeicher Anfang Mai 2022 zu 76 Prozent gefüllt. Aufgrund der wärmeren Temperaturen ist in den nächsten Monaten ohnehin kein Spitzenverbrauch zu erwarten.

Wie bekommt Bulgarien den Stopp zu spüren?

Das ärmste EU-Land hängt fast komplett von russischen Gaslieferungen ab. Geringe Mengen kommen aus Aserbaidschan. Das meiste Gas wird in Bulgariens Industrie benötigt. Die Versorgung wichtiger Abnehmer mit Gas sei für mindestens einen Monat gesichert, erklärte Energieminister Aleksandar Nikolow am 27. April. «Bulgarien wird keine Verhandlungen unter Druck führen», betonte er.

Ministerpräsident Kiril Petkow versicherte den Bürgerinnen und Bürgern, dass es Pläne für Ersatzlösungen gebe. Zudem kündigte er eine gemeinsame Antwort der Europäer an. Bulgarien werde der Erpressung keinesfalls nachgeben. Alternativen für das Land zeichnen sich ab: Ein Anschluss an das Gasnetz des benachbarten Griechenland soll im Juni fertig sein. Der griechische Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis hat bereits Hilfe zugesichert. Sofia hat auch schon Flüssiggas gebucht, das über griechische Terminals geliefert werden soll. Auch mit der Türkei verhandelt Bulgarien über Lieferungen.

Wie reagiert der Gaspreis?

Nach dem russischen Gaslieferstopp nach Polen und Bulgarien verteuerte sich der europäische Erdgas-Future um bis zu 20,2 Prozent auf fast 118 Euro je Megawattstunde, das ist der höchste Stand seit knapp vier Wochen. Am Mittwochmorgen (27. 4.) ging der Preis auf weniger als 110 Euro zurück, er ist damit rund siebenmal so hoch wie vor einem Jahr. Am 3. Mai lag der Preis bei knapp über 97 Dollar.

Der europäische Erdgaspreis hat stark reagiert

Terminmarktpreis Dutch TFF Natural Gas, in Euro pro Megawattstunde, zum Vergleich der Durchschnittspreis von 2019

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Invasion der Ukraine durch Russland (24. Februar 2022)

Der Krieg in der Ukraine hat die Energiepreise in Europa stark in die Höhe getrieben. Durch weitere Embargos dürften sie erneut steigen. Wie sich die Preise entwickeln, können Sie hier nachverfolgen.

Warum verlangt Russland Zahlungen in Rubel, und was bedeutet das Rubel-Dekret?

Russisches Erdgas nur gegen Rubel: So lautet die neue Devise aus Moskau. Üblicherweise bezahlen die europäischen Länder ihre Erdgasrechnungen bei Gazprom in Euro oder Dollar. Der Kreml beharrt seit Ende März darauf, dass ausländische Abnehmer russischen Erdgases aus Staaten, die aufgrund der gegen Russland verhängten Sanktionen als «unfreundlich» eingestuft wurden, ab dem 1. April ihre Zahlungen in Rubel leisten müssen. Andernfalls könnte es zur Einstellung der Lieferungen kommen.

Der Kreml verfolgt damit das Ziel, die Europäer zu spalten und diese dazu zu zwingen, ihre eigenen Sanktionen gegen Russland zu unterlaufen. Gleichzeitig öffnete Moskau auch ein Schlupfloch: Die europäischen Kunden sollen dazu verpflichtet werden, bei der Gazprombank (Schweiz) zwei «Spezialkonten» zu eröffnen: ein Rubel- und ein Fremdwährungskonto. Den vertraglich festgelegten Preis in Euro oder Dollar sollen sie auf Letzteres überweisen. Die Gazprombank ist dann dazu bevollmächtigt, den überwiesenen Betrag in Rubel zu wechseln und auf das Rubel-Konto zu überweisen. Von diesem wird dann Gazprom bezahlt.

Wie reagieren die Europäer auf die Rubel-Forderung?

In einer ersten Reaktion haben die meisten europäischen Abnehmer das neue Bezahlungssystem abgelehnt. Es wurde argumentiert, dass Gazprom nicht einseitig eine Veränderung der Verträge vornehmen könne. Dies sei ein Vertragsbruch.

Für die EU-Kommission stellt das von Moskau vorgeschlagene Zahlungsverfahren eine Verletzung der EU-Sanktionen dar. Die Kommission sieht es nicht als akzeptabel an, dass der Kauf von Seiten Russlands erst als vollständig angesehen wird, wenn das Geld in Rubel umgerechnet wurde. Hingehen sei es möglich, dass die Unternehmen ein Bankkonto in Russland eröffnen und die Lieferungen weiterhin in Euro bezahlen. «Was die Russen danach mit dem Geld machen, ist ihnen überlassen», zitierte die Nachrichtenagentur DPA einen Beamten.

Aus Moskau hiess es, dass mehrere europäische Unternehmen bereit seien, in Rubel oder über die Gazprombank zu bezahlen. Namen wurden jedoch keine genannt. Am Donnerstag (28. 4.) berichtete die «Financial Times», dass mehrere europäische Energieunternehmen, darunter OMV und Uniper, sich darauf einstellten, das von Russland vorgeschlagene Verfahren über die Gazprombank zu nutzen. Ungarn liess ebenso verlauten, es plane, Gazprom in Euro über die Gazprombank zu bezahlen. Auch Griechenland sprach von einer neuen «Bezahlmethode» für den kommenden Monat.

Wie geht die EU mit dem Lieferstopp für Gas um?

Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission, reagierte harsch auf den Lieferstopp von Gazprom gegenüber Polen und Bulgarien. Sie beschuldigte Russland, Erdgas als «Erpressungsinstrument» einzusetzen. In einer Erklärung nannte sie den Schritt «ungerechtfertigt und inakzeptabel». Russland erweise sich als unzuverlässiger Gaslieferant.

Von der Leyen hielt fest, dass sich die EU mit Notfallplänen auf dieses Szenario vorbereitet habe. Man werde auf alternative Lieferungen setzen und Gasspeicher so gut wie möglich füllen.

Gasspeicher füllen sich schneller als in früheren Jahren

Füllstand der europäischen Gasspeicher in Prozent

Wie ist die Lage in Deutschland?

Die Versorgungssicherheit in Deutschland sei derzeit gewährleistet und die Einstellung von russischen Gaslieferungen nach Polen und Bulgarien habe bis jetzt keine Auswirkungen auf die Versorgungssicherheit in Deutschland, heisst es in einem am 27. April veröffentlichten Lagebericht der deutschen Bundesnetzagentur. Die Gaszuflüsse nach Deutschland lägen auf einem üblichen Niveau. Die Gasspeicher seien zu 33,5 Prozent gefüllt, hält der Bericht weiter fest. Damit seien die derzeitigen Füllstände vergleichbar mit jenen aus dem Jahr 2017 und mittlerweile deutlich höher als im Frühjahr 2015, 2018 sowie 2021.

Trotz der bisher gesicherten Versorgung hat die Nachricht über den russischen Gaslieferstopp nach Polen und Bulgarien in Deutschland viel Aufsehen erregt. Das liegt daran, dass eine allfällige kurzfristige Einstellung der Lieferungen nach Deutschland die Volkswirtschaft vor allem im kommenden Winter in Bedrängnis bringen würde.

Der Anteil russischer Gaslieferungen lag in der Vergangenheit laut Angaben des Wirtschaftsministeriums im Mittel bei 55 Prozent des Verbrauchs. Zwar arbeitet das Land nach den Worten des grünen Wirtschaftsministers Robert Habeck unter anderem mit der Errichtung von Terminals für verflüssigtes Erdgas (LNG) «mit Hochdruck» an einer Abkehr von russischem Pipeline-Gas. Inzwischen ist der Anteil laut dem Minister auf 35 Prozent gesunken. Doch bis zur Unabhängigkeit wird es noch dauern.

Deutschland hat kürzlich Gazprom Germania, den deutschen Arm des russischen Gaskonzerns Gazprom, unter treuhänderische Verwaltung gestellt. Zudem hat die Bundesregierung am 25. April eine Novelle des Energiesicherungsgesetzes auf den Weg gebracht, laut der Unternehmen, die kritische Energieinfrastrukturen betreiben, unter eine Treuhandverwaltung gestellt werden können, wenn sie ihren Aufgaben nicht mehr hinreichend nachkommen und eine Beeinträchtigung der Versorgungssicherheit droht. Als Ultima Ratio ist unter bestimmten Bedingungen gar eine Enteignung möglich.

Offen ist, ob Gazprom noch weitere Staaten mit einem Lieferstopp belegen wird. Die Unternehmen in den anderen EU-Ländern müssen ebenso entscheiden, ob sie das russische Zahlungsverfahren übernehmen möchten oder nicht. Den grössten Hebel hätte Moskau über die Länder, die am meisten von russischem Erdgas abhängig sind. Dazu zählen Länder wie Estland, Finnland, Lettland, die Slowakei, Österreich oder Ungarn. Die grössten Auswirkungen könnte der Kreml mit einem Lieferstopp für Deutschland erzielen.

Osteuropäische Länder und Deutschland sind vom russischen Gas besonders abhängig

Anteil des russischen Gases am gesamten Erdgasimport, in Prozent

Osteuropäische Länder und Deutschland sind vom russischen Gas besonders abhängig - Anteil des russischen Gases am gesamten Erdgasimport, in Prozent

Die Massnahme gegen Polen und Bulgarien fiel Gazprom wohl relativ leicht, weil die langfristigen Lieferverträge für Erdgas dieses Jahr zu Ende gegangen wären. In anderen Staaten hingegen sind die entsprechenden Verträge noch länger gültig. Ein Lieferstopp könnte auch als Möglichkeit genommen werden, frühzeitig daraus auszusteigen.

Die EU-Kommission hat im März bereits einen Plan mit dem Namen «Repower-EU» vorgelegt, wie die Abhängigkeit von russischen Energielieferungen reduziert werden soll. Brüssel will bis «deutlich vor 2030» unabhängig von russischem Erdgas werden. Wenn der Plan aufgeht, könnten die Mitgliedstaaten schon bis Ende dieses Jahres auf zwei Drittel des russischen Erdgases verzichten.

Schiesst sich Russland mit dem Gas-Stopp letztlich selber ins Knie?

Die Aktion gegen Polen und Bulgarien ist vor allem eine Warnung an Deutschland, sich mit der Unterstützung der Ukraine zurückzuhalten. Erreichen dürfte der Kremlherrscher Wladimir Putin das Gegenteil: In Berlin wird wohl nun allen klar sein, dass Russland kein zuverlässiger Energielieferant mehr ist. Der jetzige Lieferstopp wird die Bemühungen der EU-Länder, sich von russischen Energielieferungen unabhängiger zu machen, nur anfeuern.

Bis anhin sind trotz dem Krieg in der Ukraine die vertraglich zugesicherten Erdgasmengen aus Russland in die EU-Länder geflossen. Der Kreml hat damit zwar weiterhin einen Hebel in der Hand, mit dem er die europäischen Länder einschüchtern kann. Gleichzeitig ist Moskau aber auch auf die Einnahmen aus den Energieexporten angewiesen, zumal die Erlöse aus dem Erdöl- und Erdgasgeschäft die wichtigsten Devisenbringer sind. Aufgrund dieser gegenseitigen Abhängigkeit hiess es oft, dass Moskau nicht zum Mittel eines Lieferstopps greifen werde.

Ein Erdöl-Boykott hätte für die Schweiz direkt keine einschneidenden Folgen. Direkt aus Russland bezieht die Schweiz kein Rohöl, auch über andere Länder kommt nur wenig russisches Erdöl. Allerdings würden auch in der Schweiz die Preise für Benzin, Diesel und Heizöl ansteigen. Die Konjunkturforschungsstelle (KOF) der ETH hat berechnet, wie viel ein schneller Ausstieg aus russischen Energieimporten die Schweiz kosten würde. Sie kommt zum Schluss, dass die Wirtschaftsleistung (BIP) verteilt auf zwei Jahre um rund 3 bis 4 Prozent verringert würde. Dabei spielt eine besondere Rolle, dass ungefähr 80 Prozent des russischen Rohstofftransithandels über Firmen in der Schweiz abgewickelt werden. Der Handel mit russischen Rohstoffen macht zwischen 15 und 20 Prozent des Gesamttransithandels in der Schweiz aus, und dieser wiederum steht für rund 5 Prozent des gesamten Bruttoinlandprodukts (BIP) der Schweiz.

Bei Gas ist die Schweiz dagegen mehr auf Russland angewiesen. Insgesamt deckt Gas hierzulande knapp 14 Prozent des Energiebedarfs ab, die Hälfte davon stammt aus Russland. Die momentanen Lieferstopps gegen einzelne Länder dürften keine Auswirkungen auf die Schweizer Gasversorgung haben, sagt Michael Schmid vom hiesigen Gasverband. Über Polen und Bulgarien liefen keine für die Schweiz relevanten Versorgungswege. Das Land bezieht sein Erdgas von Unternehmen aus den Nachbarstaaten, deren Gasspeicher seien gut gefüllt.

Selbst wenn die EU-Länder wegen weiterer Lieferstopps für sich selber zu wenig Gas haben sollten, dürfte es für sie schwierig werden, den Gasfluss in andere Länder zu kappen. Strom und Gas, so das Schweizer Bundesamt für Energie, seien leitungsgebundene Güter, was ein Isolieren von einzelnen Ländern nicht einfach mache. Transite durch die Schweiz seien nötig, um alle europäischen Regionen zu versorgen. Dies gelte, selbst wenn der europäische Notfallplan in Kraft gesetzt würde.

Die Schweiz hat sich dennoch auf den Ernstfall vorbereitet: Sollte es wegen eines grösseren Embargos zu einer Mangellage kommen und sollten die marktwirtschaftlichen Lösungen erschöpft sein, tritt laut dem Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung ein Stufenplan in Kraft: Auf einer ersten Stufe kann der Bund anordnen, dass die Firmen, die über sogenannte Zweistoffanlagen verfügen, von Gas auf Heizöl umstellen. Ferner würde der Bund an alle Konsumenten appellieren, weniger Erdgas zu nutzen. Im äussersten Notfall kann der Gasverbrauch schliesslich kontingentiert werden. Unmittelbar von einer Mangellage betroffen wären vor allem Industriebetriebe.


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