Warum viele Klubs anders sind als Freiburg

Von Seoane bis Tedesco: Jüngst mussten mehrere Trainer den Klub verlassen, um den sie sich soeben noch verdient gemacht hatten. Warum hält das Vertrauen aus guten Zeiten nicht länger an?

Er führte Leverkusen durch die torreichste Saison und war bereit, Schwierigkeiten anzunehmen: Gerardo Seoane, vergangene Woche entlassen.

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«Wir sind in einer harten Phase, und wir wollen da durchgehen, gemeinsam», sagte der Fussballtrainer Jürgen Klopp vor wenigen Tagen nach der Niederlage mit dem Liverpool FC gegen Arsenal.

«Durchgehen, gemeinsam»: der Liverpool-Trainer Jürgen Klopp nach der letzten Meisterschaftsniederlage.

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Liverpool liegt in der Premier League nur im zehnten Rang, unter den Erwartungen. Am Sonntag trifft Klopps Team auf den Rivalen Manchester City, eine Niederlage brächte weitere Fragen.

Aber Klopp trainiert die Mannschaft seit sieben Jahren, er hat die Meisterschaft gewonnen und die Champions League. Dieser Übertrainer wirkt stark und selbstbestimmt. Status und Erfolg schützen ihn vermutlich vor dem Trend aus seiner Heimat Deutschland, wo jüngst mehrere Bundesligatrainer freigestellt worden sind von Klubs, in denen sie sich soeben noch verdient gemacht hatten.

In Bochum entlassen: Thomas Reis, der den Klub in die Bundesliga zurückgeführt und danach souverän den Ligaerhalt geschafft hatte.

In Leipzig entlassen: Domenico Tedesco, der dem Klub den ersten Titel der Geschichte gebracht hatte.

Anfang Woche in Stuttgart entlassen: Pellegrino Matarazzo, der den Klub in die Bundesliga zurückgeführt, danach souverän den Ligaerhalt geschafft und auch letzte Saison trotz Problemen die Klasse gehalten hatte.

Letzte Woche in Leverkusen entlassen: Gerardo Seoane, der den Klub souverän in die Champions League geführt hatte.

Unter Seoane schoss Leverkusen achtzig Tore, so viele wie in keiner Bundesligasaison zuvor

Ende April noch hatte der Leverkusener Sportchef Simon Rolfes in der NZZ gesagt: «Wir haben Fortschritte gemacht.» Unter Seoane schoss Leverkusen 2021/22 achtzig Tore, so viele wie noch nie in über vierzig Jahren Bundesliga. Rolfes sagte auch, Seoane habe «die Bereitschaft, sich weiterzuentwickeln – und damit meine ich: jede einzelne Phase einer Saison, jede Schwierigkeit anzunehmen und sich anzupassen».

Und nun entliess ihn Bayer, nach ernüchternden Resultaten, gewiss, aber dieser Trainer, der bereit gewesen wäre, jede Schwierigkeit anzunehmen, musste gehen.

Warum gehen Klubs nicht durch Krisen mit Trainern, von denen sie wissen, dass es möglich ist, mit ihnen Erfolg zu haben?

«Wenn ich bei uns im Ruhrpott schaue: Da kannst du im Misserfolg nicht sagen: Komm, wir sitzen es aus»

Das Fussballmagazin «11 Freunde» stellte diese Woche fest, dass ein Blick auf die Tabelle genüge, «um zu erkennen, dass man nun wirklich nicht jedem Trend hinterherhecheln» müsse: weil Union Berlin und Freiburg vorne stehen, zwei Klubs, die nicht die grösste Wirtschaftskraft haben, aber Kontinuität und seit längerem denselben Trainer, Urs Fischer (Union / seit 2018) und Christian Streich (Freiburg/2012). Alle anderen Bundesligatrainer sind maximal seit Anfang 2021 im Amt. Die Freiburger hielten sogar an Streich fest, als sie 2015 abstiegen.

Vor Streich hatte einst Robin Dutt in Freiburg gearbeitet; später trainierte Dutt Bochum, und der heutige Bochumer Geschäftsführer Ilja Kaenzig weiss noch zu gut, wie Dutt einmal sagte: «Alle wollen sein wie Freiburg, aber niemand will so arbeiten wie Freiburg.» In Freiburg sind sich die handelnden Personen seit Jahren bekannt und nahe. Streich stammt aus der Gegend und ist seit 1995 im Klub, der Sportvorstand Jochen Saier ist seit 20 Jahren dabei, der Sportdirektor Klemens Hartenbach, gebürtiger Freiburger, seit 21 Jahren.

Entsprechend gross ist die Hausmacht des Trios oder sogar des Trainers allein. Und, so sagt es der Schweizer Kaenzig: «In Freiburg bildete sich diese Kultur aus, als es vielleicht noch nicht so schlimm war, abzusteigen.» Sprich: ab 1991 – Volker Finke war bis 2007 Trainer und stieg mehrmals auf und ab.

Ilja Kaenzig, Geschäftsführer VfL Bochum.

Ilja Kaenzig, Geschäftsführer VfL Bochum.

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Heute sind Abstiege mit mehr finanziellen Einbussen und Arbeitsplatzverlusten verbunden. An einem grossen Standort wie Frankfurt hiess es schon vor anderthalb Jahrzehnten, ein Abstieg koste rund 50 Millionen Euro. Und Kaenzig, heute in Bochum tätig, früher in Leverkusen, mit dem Fussball im Westen, im Ruhrpott also bestens vertraut, sagt: «In Freiburg herrscht einfach eine andere Mentalität. Wenn ich bei uns im Ruhrpott schaue: Da kannst du im Misserfolg nicht sagen: Komm, wir sitzen es aus. Da gibt es Proteste und Beleidigungen, wie sie in Freiburg vermutlich nicht vorkommen.»

Auch Kaenzigs Klub Bochum trennte sich im September mit Reis von einem langjährigen Angestellten, der vom Spieler bis zum Cheftrainer mehrere Jobs bekleidet hatte. Zu Einzelheiten betreffend Reis äussert sich Kaenzig nicht, aber dieser Fall zeigte, dass die kitschigsten Geschichten manchmal unschöne Wendungen nehmen. Plötzlich sickerte durch, Reis habe im Sommer zu Schalke wechseln wollen, zu einem Ruhrpott-Rivalen, ausgerechnet. Reis stritt es öffentlich ab, aber plötzlich ging es um Vertrauensfragen: wem war zu glauben, wer steht noch hinter wem?

«Haben Sie mit Schalke 04 gesprochen?» Der Bochum-Trainer Thomas Reis: «Nein.» Und doch stellten sich plötzlich Vertrauensfragen.

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Der FC St. Gallen wäre bereit gewesen, mit dem Trainer Peter Zeidler abzusteigen

Wenn es so weit ist, wackelt jeder Trainerstuhl. Und je kleiner der Kreis einflussreicher Figuren ist, desto grösser ist die Chance, dass der Stuhl doch nicht kippt; dass sie durchgehen, gemeinsam. In der Schweiz war es vor einem Jahr exemplarisch, wie der FC St. Gallen trotz Abstiegssorgen am Trainer Peter Zeidler festhielt. Der Klub schloss die Saison danach im fünften Rang ab, derzeit ist er Dritter. St. Gallen ist der Schweizer Werbespot, dass man nicht jedem Trend hinterherhecheln muss.

Wie geht das: diesem Trend zu widerstehen? Zeidler ist bis Mitte 2025 an St. Gallen gebunden, der Sportchef Alain Sutter bis Ende 2025. Es sind Vertragslaufzeiten, die auch schon belächelt worden sind; sie kämen aus einer heilen Welt. Der Präsident Matthias Hüppi sagt: «Entscheidend ist nicht, wie lange man laut einem Papier minimal zusammenarbeiten will, sondern: dass du dich permanent auf diese Überzeugung abklopfst. Bist du überzeugt davon, dass der gemeinsame Weg immer noch richtig ist? Und bist du überzeugt davon, dass du dich in diesem Projekt voll einbringen kannst?»

Sie halten aneinander fest: Peter Zeidler (links) und Matthias Hüppi.

Sie halten aneinander fest: Peter Zeidler (links) und Matthias Hüppi.

Gian Ehrenzeller / Keystone

Das gegenseitige Vertrauen gehe nicht vom einen Tag auf den anderen verloren, sagt Hüppi, es sei ein Prozess, «bis es nicht mehr in diesem Mass vorhanden ist, wie es vorhanden sein muss, wenn es dem Klub nicht so gut geht».

Idealerweise wird in guten Zeiten das Vertrauen für schlechte Zeiten gestärkt – und doch herrscht stete Erosionsgefahr. Sobald der Erfolg fehlt und früher oder später das gegenseitige Verständnis; oder weil der Erfolg die Menschen verändert, weil sie sich eines Tages zu wichtig nehmen und die eigenen Verdienste höher gewichten als die des anderen; manchmal auch: weil der Trainer merkt, dass der Sportdirektor Abmachungen nicht einhält.

Hüppi sagt: «Du musst es dem anderen sagen, wenn dich etwas stört. Denn der andere merkt es früher oder später. Ich sage immer: Die Wände unseres Stadions haben Ohren – aber nicht, weil irgendetwas herumgeflüstert wird. Sondern weil gespürt wird, wenn die Überzeugung fehlt.» Hüppi sagt, die St. Galler seien immer überzeugt gewesen, herauszukommen aus der schwierigen Situation – «aber wir wären bereit gewesen, zusammen noch mehr zu überstehen». Sprich: den Abstieg.

RB Leipzig entliess Tedesco und teilte mit, er sei ein «exzellenter Trainer»

Womöglich braucht es genau diese Bereitschaft, gemeinsam unterzugehen, um gemeinsam über Wasser zu bleiben. Dass man bereit ist, sich auf eine Durststrecke einzulassen, ohne zu wissen, wie diese Durststrecke endet. Und so viel Gelassenheit können sich gerade grosse Klubs aus grossen Ligen kaum leisten.

Wenn sich der Bochumer Geschäftsführer Kaenzig an den früheren Trainer Dutt erinnert, an dieses «Alle wollen sein wie Freiburg, aber niemand will so arbeiten», so sagt er: «Weil es einfach nicht geht. Bei uns sind die Leute nach sechs Niederlagen vielleicht schon noch für den Trainer. Aber nach acht Niederlagen kippt es, und nach zehn Niederlagen wird gefragt, warum nicht längst reagiert worden sei. Ja, es ist so: Ausnahmen bestätigen die Regel. Man führt immer Freiburg als Ausnahme an und sagt, es müsste überall so sein – obwohl es in Deutschland fast nirgends anders so sein kann.»

Auch nicht in Leipzig, wo es ein Kunststück wäre, den Leuten eine längere Durststrecke zu verkaufen. Der Geschäftsführer Oliver Mintzlaff sprach im August schon nach zwei Spielen und zwei Unentschieden von einem «beschissenen Start». Bald darauf musste der Trainer Tedesco gehen, der Klub schrieb: «Domenico ist ein exzellenter Trainer, der sicher weiter viel Erfolg haben wird.» Aber nicht mit Leipzig.

In Leipzig wird seit Jahren ein teures Projekt vorangetrieben, mit Geld von Red Bull, mit Trainern wie Ralf Rangnick und Julian Nagelsmann, in diesem Sommer mit Zuzügen für total über 50 Millionen Euro (aber auch mit Transfereinnahmen von mehr als 70).

Es hat wohl etwas Fussball-Romantisches, sich vorzustellen, dass sich Leipzig und Leverkusen in einer Krise vorzeitig mit einem Platz im Mittelfeld abfinden würden; dass sie partout am Trainer festhalten, aus Erfahrung, dass er gut ist; und aus Überzeugung, dass er wieder Erfolg hat. Es heisst gern, Leverkusen sei für einen Trainer ein verhältnismässig angenehmes Pflaster – und doch waren auch in diesem Klub seit 2012 zehn Trainer beschäftigt. Auch hinter Leverkusen steckt mit Bayer ein grosser Konzern, und es gibt mehrere Personen, die mitreden oder mitreden wollen und umso lauter werden, je schwieriger die Situation ist.

Wenn der Sportverantwortliche Rolfes noch so überzeugt davon wäre, dass unter Seoane wieder Fortschritte möglich seien, so gibt es über ihm noch Fernando Carro, den Geschäftsführer. Und über Carro Verantwortliche des Bayer-Konzerns. In Krisenzeiten braucht ein Trainer das Vertrauen vieler Personen.

Abstiegskampf hier, Manchester City dort

Auch in Stuttgart. Wenige Wochen vor der Entlassung des Trainers Matarazzo verkündete der VfB die Rückkehr gleich dreier früherer Nationalspieler in operative oder beratende Funktionen. Der Klub hat Ansprüche, obwohl schwierige Zeiten hinter ihm liegen, seit 2016 stieg er zweimal ab, aber vor 15 Jahren war er noch Meister.

Der Anspruch zeigt sich auch in der laufenden Stadionmodernisierung. Im Innern der Arena wird etwa ein sogenannter Tunnelklub errichtet, ein laut Website «exklusiver Businessbereich mit Ein- und Ausblicken auf Spielbetrieb und Mannschaften. Durch verglaste Scheiben können rund 200 Gäste die Spieler auf ihrem Weg von der Kabine aufs Spielfeld verfolgen.»

Es ist eine schon fast voyeuristische Neuerung nach dem Vorbild des englischen Giganten Manchester City, über die sich sogar eigene Fans lustig machen. Vor wenigen Monaten sagte der Moderator eines VfB-Fan-Podcasts, einen City-Spieler wie Kevin De Bruyne «mal beim Warmlaufen zu sehen: Okay, mag sein, dass das was hat» – aber wenn der VfB-Spieler Tanguy Coulibaly «reinkommt: Das interessiert keine alte Sau.» Darauf erwiderte eine Podcast-Teilnehmerin: «Kommt ja auch drauf an, wo wir spielen. Wenn man in der zweiten Liga wieder mal landet . . .»

«Mit was vergleicht ihr euch hier grade?»: der VfB Stuttgart und der Tunnelklub von Manchester City (ab 4:42).

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Unterschätzen Klubs manchmal die Leidensbereitschaft von Fans? Vielleicht auch: dass den Fans der Trainer manchmal teurer ist als der Erfolg? Und: Was wäre den Liverpool-Fans letztlich wichtiger: Titel oder Klopp?

2014 lag Jürgen Klopp mit Dortmund vorübergehend im letzten Rang, im siebenten Amtsjahr, nach drei Titeln. Wochen später gab Klopp seinen Rücktritt per Saisonende bekannt, und er verwies darauf, was er früher gesagt hatte: «In dem Moment, wo ich das Gefühl habe, dass ich nicht mehr der perfekte Trainer für diesen aussergewöhnlichen Verein bin, würde ich es sagen.»

Und er sagte es. Aber meist ist es so, dass die anderen zuvorkommen.


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