Wieduwilts Woche: Friedrich Merz, laschet’s lieber!

Der derzeit amtierende Vorsitzende der CDU hat nicht das Zeug zum Kanzlerkandidaten – und das liegt nicht an seinem Verhältnis zur AfD.

Politiker sollen uns mit ihren Entscheidungen durch undurchschaubare Lagen führen, und da wir die Lagen nicht durchschauen, beurteilen wir sie nach dem Sichtbaren: der Kommunikation. Manchmal, so scheint es, zeigt sich der Charakter sogar darin, wie jemand einen Regenschirm hält. Der bayerische Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) etwa stieg bei den Bayreuther Festspielen samt Partnerin aus seinem Auto (“Wasserstoff!”) und eilte durch Wind und Regen über den roten Teppich. Weil seine Frau dabei für einen Moment aus dem Schirmbereich geriet, machte sich daraufhin “das Internet” – darunter auch Bodo Ramelow und Ruprecht Polenz – über den vermeintlichen Schuft her.

Das erinnerte an den glücklosen Kanzlerkandidaten Armin Laschet: Ihm gelang es bekanntlich, eine durchweg schlechte Figur auf Fotos zu machen. Mal stand er im Regen neben dem trockenen Olaf Scholz, mal stand er im Trockenen und sprach mit einem patschnassen Flutbetroffenen. Immer falsch, alles. Was Aiwanger allerdings von Laschet unterscheidet, ist seine Medienkompetenz. Aiwanger hängt viel auf Twitter herum, er sieht (oder lässt nachsehen), was sich da tut. Als das vermeintlich entlarvende Foto auftauchte, hielt Aiwanger mit einem Video dagegen.

Nun sah die Sache schon deutlich anders aus. Ramelow und Polenz ruderten zurück. Laschet dagegen hatte damals die Dinge laufen lassen, bis ihm das Wasser endgültig bis zum Hals stand. Die Kommunikation war blind, lahm und tollpatschig.

Merz macht deutschen Juden Angst

Gute Kandidaten haben ein Gespür für Lagen, schlechte nicht, was zwanglos zu Friedrich Merz führt. Merz hat eine sehr schlimme Woche hinter sich. Für die einen ist er mit seinem Gerede vom gemeinsamen Gestalten mit der AfD auf kommunaler Ebene und der “Alternative für Deutschland mit Substanz” zum Rechtsrücker geworden. Der CDU-Vorsitzende macht deutschen Juden Angst, das muss man sich einmal vorstellen. Benjamin Graumann, Vorstandsmitglied der Jüdischen Gemeinde in Frankfurt am Main, schreibt in der “Frankfurter Rundschau”: “Aus jüdischer Sicht muss man sich angesichts des Sommerinterviews mit dem Vorsitzenden der CDU nun allerdings ganz massive und akute Sorgen machen.” Andere kritisieren ihn als Einknicker, der morgens unangenehme Wahrheiten ausspricht und sie abends wieder einsammelt.

Wie weit nach rechts Merz zu lenken gewillt ist, wird die Zeit zeigen. In einem sind sich aber alle einig: Die Kommunikation der CDU-Spitze ist eine komplette Katastrophe – schon wieder. Angela Merkel, darauf wies ein anonymer Kritiker aus den eigenen Reihen gegenüber der “Welt” hin, hätte im Sommerinterview schmallippig auf die Beschlusslage verwiesen und das war’s. Sie hätte gespürt, dass sie mit dem Thema nicht punkten kann. Ihr fehlte die Eitelkeit, auf jede Frage in den Welterklärermodus zu wechseln.

Aber Merz ist eben ein Mann – und Männer teilen sich gern mit. Womöglich lief er sogar mit ein bisschen Redestolz in diese Situation, dem Gefühl, er könne hier etwas besonders Kluges, Entschiedenes, Mutiges verkünden. Er neigt zum, wie Alexander Kissler es nadelgenau für die NZZ formulierte, “plauderhaften Mackertum“.

Nach dem Desaster versuchte Merz die Sache einzusammeln – mit verquastem Protz und noch mehr Redestolz: “Ich lasse mich von niemandem in der Klarheit überbieten, dass eine Zusammenarbeit mit der AfD nicht in Frage kommt”, verkündete er. Da war er zur Deutschen Presseagentur gelaufen, für noch ein Interview, wegen des großen Erfolges. Dort desasterte Merz dann noch, entscheidend sei die inhaltliche Erneuerung der CDU, “nicht Spekulationen über Koalitionen oder gar Personaldebatten”. Spätestens jetzt ging es um: Personaldebatten.

Leberhaken von Tobias Hans

“Friedrich Merz, laschet’s lieber!”, hatte ihm sinngemäß Tobias Hans im “Stern” (gehört wie ntv zu RTL Deutschland) zugerufen. Hans verteilte da einiges an Leberhaken: Man müsse “vor jedem Sommerinterview zittern, weil man nicht weiß, was am Ende dabei herauskommt”, ist so ein Satz. Er, Hans, könne sich “ehrlich gesagt nicht vorstellen, dass ein von der CDU gestellter Bundeskanzler solche Sorgen hervorruft”. Tobias Hans, das habe ich gerade noch einmal nachgeschaut, war bis vor gut einem Jahr Ministerpräsident und CDU-Vorsitzender im Saarland. Der in Hessen wahlkämpfende Boris Rhein sieht Merz wiederum “nicht beschädigt”. Immer schlecht, wenn man so etwas betonen muss.

Das Problem der CDU ist nicht, dass Merz ständig den rechten Blinker an lässt und Zusammenarbeit mit der AfD auf kommunaler Ebene für unausweichlich hält. Das Problem ist, wie er darüber spricht. Er spricht nicht davon, dass man gelegentlich mit der AfD stimmen müsse, er sagt geradezu zärtlich, man werde “gemeinsam die Stadt, das Land, den Landkreis” “gestalten”. Er nennt ein Grundsatzprogramm “Agenda für Deutschland” und kapiert nicht, dass es wie “AfD” klingt. Er bietet sich als “Alternative für Deutschland mit Substanz” und merkt schon wieder nichts, obwohl er da längst im Verdacht steht, die CDU hart nach rechts zu rücken.

Kurz: Merz ist der ungeschickteste Kommunikator in der CDU seit Armin Laschet. Während Laschet zu plumpvertraulich war, lastet auf Merz das Mackertum. Die CDU verfehlt zum zweiten Mal die breite Öffentlichkeit. Die Menschen urteilen nach dem Sichtbaren, und das sind eben auch Regenschirme und schiefe Sätze. Wenn eine politische Führungskraft weder von den eigenen Leuten noch der Bevölkerung verstanden wird – was genau macht sie dann eigentlich noch zur Führungskraft?

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