Dreißig Jahre nach dem Moskauer Putsch steckt die Demokratie in einer Krise des Selbstwertgefühls | Rafael Behr

Seit 1991 wurde viel verschwendet, aber die größte Bedrohung für die Demokratie ist heute die weltweite Ansteckung des Zynismus

Am 19. August 1991 erwachten Bürger der Sowjetunion mit der Nachricht, dass Michail Gorbatschow, der Generalsekretär der Kommunistischen Partei, aus gesundheitlichen Gründen zurückgetreten ist. Diese Nachricht war eine Lüge, wie viele dieser Bürger von ihren Medien erwartet hatten. Panzer, die durch Moskau rollten, erzählten die wahre Geschichte: ein Putsch von Politbüro-Hardlinern, die entschlossen waren, Gorbatschows Demokratisierungsexperimente abzubrechen. Sie versagten. Der Putsch wurde innerhalb von zwei Tagen entwirrt. Fünf Monate später hatte die UdSSR aufgehört zu existieren.

Niemand im Westen sah es kommen, aber der Schock über das unvorhergesehene Ereignis wich der Überzeugung, dass es unvermeidlich war. Die Implosion einer Supermacht, die gebaut wurde, um die marxistische Prophezeiung zu erfüllen, hätte als Warnung vor allen Ansprüchen dienen sollen, die Regeln der Geschichte zu kennen und ihr Ziel festzulegen. Aber nein. In der westlichen Politik setzte sich die modische Vorstellung durch, dass die liberale Demokratie der ideologische Endpunkt sei.

Weiterlesen…