Moderne Revue machen – das Genie von Käthe Kollwitz steht da wie eine offene Wunde | Kunst

Tie Augen von Käthe Kollwitz, schwarz und hoffnungslos, blicken einen an wie Todesboten einer Lithografie, die die deutsche Künstlerin 1934 von sich selbst gemacht hat Jahr nachdem Hitler Reichskanzler wurde. Aber „macht sie wirklich die Moderne“, wie der Titel dieser Ausstellung behauptet, in diesem Eingeständnis privater Qual und politischer Erschütterung? Kollwitz’ Selbstporträt in ihren 60ern ist so zeitlos wie das von Rembrandt als gebrochener alter Mann.

Ein deutscher Blick für die Lebenswirklichkeit … Paula Modersohn-Beckers Selbstbildnis als stehender Akt mit Hut, 1906. Foto: Krause, Johansen/Paula Modersohn-Becker Stiftung, Bremen, Leihgabe aus Privatbesitz

Kollwitz ist mit Abstand die größte Künstlerin in dieser Übersicht von sieben Künstlerinnen, die im Deutschland des frühen 20. Jahrhunderts gearbeitet haben. Und mit ihren vermeintlichen Altersgenossen hat sie fast nichts gemeinsam. Manche Kunst springt einem aus ihrer eigenen Zeit entgegen. Andere Kunst bleibt an einem verlorenen Ort und Moment, faszinierend wie Geschichte, wichtig wie ein Dokument – ​​aber sie packt uns nicht. Das trifft auf viele Werke hier zu. Gabriele Münter zeigt das Münchner Äquivalent des britischen Bloomsbury-Sets in Gemälden, die das bürgerliche Avantgarde-Leben einfangen. Sie porträtiert ihren Geliebten, den russischen Künstler Wassily Kandinsky, in Shorts und Sandalen in ihrem Gemälde Kandinsky und Erma Bossi am Tisch von 1909-10 und unterhält sich mit Bossi, der ebenfalls in dieser Show zu sehen ist. Unterdessen porträtiert Kollwitz in ihrer Radierung Frau mit totem Kind von 1903 einen klumpigen, nackten Körper in Schmerzen, der sich über die Säuglingsleiche beugt, die sie an sich drückt, als wolle sie ihn wieder zum Leben erwecken.

Ich wäre weniger frustriert von dieser Show, wenn sie einen genaueren Titel hätte. Making Modernism schlägt ein ehrgeizigeres Projekt vor, als sich herausstellt. Angesichts der Tatsache, dass alle Künstler Frauen sind, impliziert dies sogar eine revolutionäre feministische Umschreibung der Kunstgeschichte. In Wirklichkeit ist es eine Ansammlung einiger ziemlich interessanter Persönlichkeiten aus Deutschland vor dem Ersten Weltkrieg, plus ein Genie, Kollwitz, der wie eine offene Wunde hervorsticht.

Münter ist eine schlechte Feministin, da sie von den männlichen Künstlern, mit denen sie zusammengearbeitet hat, und nicht nur von Kandinsky, fasziniert zu sein scheint. Ihr Gemälde „Der Mann im Sessel“ (Paul Klee) von 1913 ist eine Studie des Künstlers, der seine eigene Sprache urzeitlicher Cartoons entwickeln sollte. Es ist alles andere als revolutionär: Klee sitzt steif in einem Interieur, dessen intensive Farbtöne und halbabstrakte Formen selbst 1913 ziemlich behäbig gewirkt hätten. Immerhin war dies das Jahr, in dem Picassos kubistische Collagen, Duchamps erstes Readymade und Epsteins Rock Drill einnahmen Moderne über einen radikal neuen Abgrund.

Die Bewegung, der die meisten dieser Künstler angehören, der deutsche Expressionismus, hat selbst einen ungünstigen Platz in der Geschichte der Moderne. 1916 rebellierten jüngere Deutsche gegen diese von Anklängen an Van Gogh und Matisse durchdrungene Malweise und verleugneten ihren Ästhetizismus, indem sie brutale dadaistische Collagen anfertigten. Wenn Sie wirklich die Frauen der deutschen Moderne rühmen wollen, sollten Sie da nicht auch die große Dadaistin Hannah Höch einbeziehen?

Indem sie sich auf eine moderne Bewegung beschränkt, die bereits vor Beginn des Ersten Weltkriegs wie ein alter Hut aussah und durch ihre Schrecken irrelevant wurde, macht diese Ausstellung ihre eigene Argumentation fadenscheinig. Weit davon entfernt, männliche Perspektiven abzulehnen, zitieren die Künstler hier die „Meister“ der Moderne so enthusiastisch, dass sie faszinierende Fragen darüber aufwerfen, wie die Kenntnis des Geschlechts eines Künstlers unsere Wahrnehmung eines Bildes verändert. Weibliche Nacktheit beschäftigt Modersohn-Becker und verleiht ihr verstörende Kraft.

Porträt von Marianne Werefkin von Erma Bossi, 1910.
Porträt von Marianne Werefkin von Erma Bossi, 1910. Foto: Gabriele Munter- und Johannes Eichner-Stiftung, München. © Der Nachlass von Erma Bossi

Tatsächlich ist sie überhaupt kaum modernistisch. Modersohn-Beckers scharf ehrliche Akte haben einen deutschen Blick für die Lebenswirklichkeit, der auf den Reformationskünstler Cranach zurückgeht und vom Berliner Lucian Freud in dieses Jahrhundert getragen wurde. Tatsächlich hat Freud ein Gemälde von seiner stillenden Tochter Esther gemalt, das Modersohn-Beckers wunderbarem Werk „Baby Breastfeeding“ in nichts nachsteht.

Die deutsche moderne Kunst – und ihr britischer Emigrantenspross in den Werken von Freud und Frank Auerbach – ist gerade deshalb großartig, weil sie sich nie allzu sehr darum gekümmert hat, modernistisch oder glänzend neu zu sein. Expressionismus, Dada und spätere Bewegungen kamen und gingen, doch bei allen Experimenten behielten die Künstler die alten unverblümten Themen der körperlichen Existenz, der spirituellen Sehnsüchte, des Lebens und des Todes im Auge.

Frau mit totem Kind, 1903, von Käthe Kollwitz.
Frau mit totem Kind, 1903, von Käthe Kollwitz. Foto: © Käthe Kollwitz Museum Köln

Für keinen Künstler hier gilt das so wie für Kollwitz. Ihre Bilder sind zeitlos in ihrem Schmerz. Sie schiebt dir mit ihrem Stecherstichel und ihrem Bildhauermeißel menschliches Leid in die Speiseröhre. In einem strengen Holzschnitt, der 1929 entstand, als die deutsche Geschichte in ihre Sackgasse drängte, zeigt sie eine schlafende Mutter und ein Kind, die sich im Dunkeln umarmen, um Wärme und Sicherheit zu finden.

Diese Ausstellung missversteht, wie Künstlerinnen aus dem Kanon ausgeschlossen wurden. Das Kunstpatriarchat hat nie gesagt, dass Frauen keine Künstler sein können, aber dass sie keine großen Künstler sein können. Diese Show setzt dies versehentlich fort, indem sie Kollwitz, einen wahren Großen, nur als einen von vielen behandelt.

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