Die Woche in Klassik: Der Ring des Nibelungen; Berliner Philharmoniker/Fischer-Rezension – ein Menschenexperiment | Klassische Musik

TDer Jubel hätte Daniel Barenboim gelten sollen. Berlin ist neu Ring sollte ein Festzyklus sein, der von ihm anlässlich seines bevorstehenden 80. Geburtstags durchgeführt und ungewöhnlich in einer einzigen Woche statt über mehrere Saisons abgeschlossen wurde. Die Besetzung von Weltklasse-Wagner-Sängern, zusammen mit dem russischen Regisseur Dmitri Tcherniakov, sind Künstler, die Barenboim über viele Jahre hinweg gefördert hat.

Wagner war ein zentraler Bestandteil von Barenboims Repertoire in Berlin Staatsoper, wo er Musikdirektor ist; in der Komponisten-Festspielstadt Bayreuth und anderswo. Wer kann seine vergessen Ring Zyklus bei den Proms im Jahr 2013, mit dem West-Eastern Divan Orchestra er gründete zusammen mit Edward Said Musiker aus Ländern des Nahen Ostens zusammen – ein Akt einfallsreicher politischer Philanthropie.

Daniel Barenboim, der Anfang dieses Monats bekannt gab, dass er sich von Auftritten zurückziehen wird. AFP

Stattdessen war Barenboim letzte Woche zu krank, um daran teilzunehmen. Vor sechs Wochen zog er sich aus dem Wagner-Epos zurück und übergab den Staffelstab buchstäblich und vielleicht, wie viele spekulieren, endgültig an Christian Thielemann. Der 63-jährige Berliner war einst Barenboims Assistent in Bayreuth, wo beide Dirigenten im Laufe der Jahre regierten. Niemand betrachtet die beiden als Vertraute – im Gegenteil – aber Thielemann, der als konservative Figur der alten Schule gilt, aber unbestreitbar brillant ist, sprang auf persönlichen Wunsch seines Kollegen ein.

Mit klugem Timing, zwischen den ersten Opern des Zyklus, Das Rheingold und Die Walküreund die zweiten beiden, Siegfried und Götterdämmerungmit dem Barenboim geehrt wurde Grammophon Auszeichnung für das Lebenswerk des Magazins. Am selben Tag kündigte er an, dass er sich vorerst – beachten Sie diese offenen Worte – wegen einer schweren neurologischen Erkrankung von öffentlichen Auftritten zurückziehen werde. Die vorhergesagte Nachricht kam dennoch wie ein Schlag. Inspirierend, ungeduldig, ein visionärer Musiker, ein furchtloser und oft mürrischer Friedensbotschafter – Barenboim möchte lieber gehört als geliebt werden. Doch allen Widrigkeiten zum Trotz hat er seit sechs Jahrzehnten oder mehr beides geschafft.

Thielemann bringt seinen eigenen unverwechselbaren Zugang zu Wagner ein: detailliert und expansiv, aber dennoch analytisch. Mit nur kurzen Unterbrechungen, wenn die Spieler vielleicht überrascht waren, diesen Dirigenten nicht zu kennen, entlockte er dem Orchester ein grandioses Spiel. Vor allem die tiefen Saiten erreichten einen samtigen Klang von unvergleichlicher Schönheit, während Blechbläser knurrend und heroisch waren. Thielemanns Name wird nie ohne Hinweis auf die von ihm bevorzugten langsamen Tempi erwähnt: eine Herausforderung für Sänger, aber die Erwartung, dass schnell besser ist, ist zur Tyrannei geworden. Was machen bei einem 17-Stunden-Marathon 10 Minuten mehr aus, wenn wie bei Thielemann das Tempo überzeugt.

Barenboim mag den Jubel verpasst haben, aber er ist auch dem Donner der Buhrufe entgangen, die für das Ende von aufgespart wurden Götterdämmerung, als das Produktionsteam seinen Vorhang aufnahm. Tcherniakov und seine Designer haben ein aufwändiges Set mit vielen Räumen geschaffen – ein einzelnes Gebäude, das sich horizontal dreht und verschiebt und sich durch verschiedene Stockwerke erhebt und senkt, das unterste ein groteskes Nibelheim: Dutzende von Käfigen mit Paaren lebender Kaninchen in jedem, die ablenkend auf und ab hüpfen übereinander unter grellen, aufdringlichen Lichtern (was natürlich Tierschützer provozierte).

Welten über Welten, mit den Hasenkäfigen im Mittelpunkt, in Das Rheingold.
Welten über Welten im Rheingold. Foto: Monika Rittershaus

So komplex die Umsetzung, so geradlinig und kaum neu ist die Idee: Wotans Universum ist ein Forschungslabor, in dessen Mittelpunkt menschliches Verhalten steht. Denken Sie an Tiefenhirnstimulation, Elektroden, weiße Kittel, Klemmbretter. Sein Name ESCHE steht für Experimental Scientific Center for Human Evolution und ist ein Spiel mit der Weltesche der teutonischen Mythologie, die im Mittelpunkt steht Ring. Brünnhildes Felsen ist eine Couch in einem verglasten Schlaflabor. Die Walkürenschwestern versammeln sich in einem Hörsaal mit stapelbaren Plastikstühlen. In diesem profanen Dasein sehen wir viele Männer – Hunding, Alberich, Siegfried – in Unterhosen, die Bierdosen aufschnappen oder nach dem Kühlschrank greifen. Jogger mit Seitenstreifen sind für Wotan und seine diversen Sprösslinge unverzichtbar.

Die Charaktere sind optisch gepaart, sodass Gutrune wie eine glamourösere Version der betrogenen Brünnhilde aussieht. Die Nornen, wahnsinnige Weiber, schlagen sich mit ihren Handtaschen gegenseitig ein. Die Erdgöttin Erda (Anna Kissjudit) hat eine unheimliche Ähnlichkeit mit Ann Widdecombe, die Tcherniakov wahrscheinlich nicht im Vordergrund stand, als er die Rolle gestaltete.

In diesem Marsch durch die Jahrzehnte, Das Rheingold beginnt in den 1960er Jahren, eine Kreuzung zwischen Verrückte Männer und Buddenbrooks, Thomas Manns Studie einer Familie im Niedergang. Durch Die Walküre, ziehen sich die Geschwister Siegmund (Robert Watson) und Sieglinde (Vida Miknevičiūtė) aus ihrer Wohnung im Ikea-Stil zurück, um sich unter den Schreibtischen im Nibelheim zu verstecken. In der dritten Oper kauert das Kind ihrer unerlaubten Vereinigung – der Held Siegfried – in einem Softplay-Bereich. Der Höhepunkt seines Todes, in Götterdämmerungtritt in einem Basketballspiel auf, bei dem Hundings Vasallen Firmenangestellte sind, die eine gewisse Teambindung benötigen.

All dies wird gerettet durch den hervorragenden Gesang der gesamten Besetzung, vor der zärtlichen Kraft von Anja Kampe als Brünnhilde (ihr Rollendebüt in Siegfried und Götterdämmerung), zur erfahrenen, lyrischen Emotion von Michael Volles Wotan/Wanderer und vor allem zur glänzenden Beweglichkeit von Andreas Schagers räkelndem, hüpfendem, hilflosem Siegfried. Weder Rolando Villazón als Lounge-Echse Loge noch Watson haben ihre Buhrufe verdient. Wenn die Burschen hofften, einen Ausdruck der Verzweiflung auf Watsons Gesicht zu sehen, hatten sie ihr bescheidenes Ziel erreicht.

Tcherniakov hat Feuer, Wasser, Zauberhelm, Drachen, Kuss, Gold abgeschafft. Die schwerwiegendste Fehleinschätzung fand sich in den kulminierenden, weltbeendenden Schlusstakten des Zyklus. Hier blitzten Worte auf – Wagners eigener, von Schopenhauer inspirierter Text, nicht vertont – genau dann, wenn man nur noch dem Orchester zuhören wollte. Dies Ring wurde ernsthaft konzipiert, aber in ihrer Widerlegung so vieler Schlüsselelemente hat sich Wagners Poesie der Prosa zugewandt.

Iván Fischer dirigiert die Berliner Philharmoniker in Mahler und Strauss.
„Ein überragender Auftritt“: Iván Fischer dirigiert die Berliner Philharmoniker in Mahler und Strauss. Foto: Stefan Rabold

In einer freien Nacht von Wagner gab es die Gelegenheit, das zu hören Berliner Philharmonikermit einem seiner regelmäßigen Gastdirigenten, Ivan Fischer. Nach einer ersten Hälfte von Richard Strauss, die (im Duett-Concertino) zwei Spieler des Orchesters, den Klarinettisten Wenzel Fuchs und den Fagottisten Stefan Schweigert, in Szene setzte, spielten sie Mahlers Symphonie Nr. 1. Auch Fischer hat seine eigenwilligen Tempi, aber das war es eine überragende Leistung. Die Stars waren die Hörner, alle sieben am Ende stehend, Glocken vereint in perfekter, dezenter Choreografie, der Klang, den der Himmel schickte.

Sternebewertung (von fünf)
Der Ring des Nibelungen
★★★★
Berliner Philharmoniker
★★★★

Das Ringzyklus geht bis 6. November und 4.-10. April 2023 an der Staatsoper Unter den Linden, Berlin weiter

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